Ode an mein Stativ

von Katja Pacholke 
 

Schon klar, ein STATIV ist Ballast, insbesondere für Landschaftsfotografen.
Denn die müssen das Teil tatsächlich schleppen. Es ist ja auch gar nicht zu verstehen. I
ch rüste mich für eine Wanderung oder eine Radtour.
Schon beim Fahrrad- und Rucksackkauf achte ich auf das Gewicht.

Die Ersparnis wird nicht in Kilogrammschritten gemessen, sondern es geht um Gramm! Ich nehme also mein leichtes Rennrad (keine Anbauten außer dem Tacho – jedes Gramm kostet zusätzliche Fortbewegungskraft), den ultraleichten Fahrradrucksack, die Jacke und die lange Hose werden durch leichte kleine Arm- und Beinlinge ersetzt, ich packe meine Kamera mit der kleinen leichten Festbrennweite ein. Gut, die paar Gramm für den passenden Polfilter und den Grauverlaufsfilter, nehme ich mit schmerzverzehrtem Gesicht in Kauf. Dafür verzichte ich auf ein Wechselobjektiv – Hallo! Ich muss mich mit Muskelkraft fortbewegen! Die Trinkblase ist nur zur Hälfte gefüllt, in den Flaschenhaltern stecken nicht die Thermoflaschen, sondern die guten Plasteflaschen, bei denen die Flüssigkeit nach 10 min die Außentemperatur angenommen hat. Ich bin also bereit. Halt! Stop! Natürlich, mein STATIV MUSS MIT! Bin ich schizophren?

So oder ähnlich geht es vielen Fotografen,

die ihre Location nicht mit dem Auto anfahren können. Ob sie auf einen Berg steigen, 8 Stunden durch den Wald gehen oder eben 60 km mit dem Rad unterwegs sind. An allem Möglichen wird am Gewicht gespart, aber das STATIV wird gut sichtbar mitgeschleppt. Wieso? Was denken sich die Leute dabei?

Ich werde im Folgenden um Verständnis für diese gespaltenen Persönlichkeiten zu werben, indem ich meine Gründe (ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Objektivität) aufzähle:

1.      Scharfe Bilder

Dieser Grund leuchtet jedem ein. Mit einem stabilen STATIV verhindere ich Verwacklungsunschärfen im Bild. Das gilt natürlich nur für statische Motive. Den Nachbarshund bekomme ich auch mit STATIV nicht scharf, wenn er sich schneller bewegt, als die Blende sich wieder schließt. Bewegungsunschärfen sind also nicht vermeidbar durch die Nutzung meines STATIVes.

Wie ein Biatleth auf die 5 Scheiben, ziele ich auf mein Motiv. Und genau wie der Biatleth ist mein Körper nicht starr. Ich bewege mich. Natürlich kann ich versuchen diese Bewegungen zu minimieren (Yoga und Meditation habe ich bereits ausprobiert – ohne nennenswerten Erfolg), aber ich kann die Bewegungen nicht verhindern. Nun zittere ich im Allgemeinen nicht wie Clarice Starling vor Hannibal Lecter, dennoch kommt es bei entsprechend langer Belichtungszeit zu Verwacklungen, die sich als Unschärfen auf dem Bild zeigen.

Um die Verwacklungen zu verhindern, gibt es eine Faustformel. Am Kleinbild (also 36x24 mm) gilt grob: maximale Belichtungszeit entspricht dem Kehrwert der verwendeten Brennweite. Wenn ich also an einer Kleinbildkamera (das sind zum Beispiel die analogen Spiegelreflexkameras oder die digitale Canon 5d (II)) eine Brennweite von 50 mm betreibe, dann ist meine maximale Belichtungszeit 1/50 Sekunde. Je weitwinkliger mein Objektiv also, desto länger kann ich verwacklungsfrei aus der Hand fotografieren. Im Umkehrschluss heißt das, wenn ich ein Tele mit 300 mm betreibe, dann habe ich am Kleinbild eine maximale Belichtungszeit von 1/300 Sekunde.

Bis hierhin ganz einfach. Nun kommt aber der Cropfaktor der eigenen Kamera dazu, denn die meisten digitalen Spiegelreflexkameras haben keinen Sensor, der dem Kleinbild entspricht, sondern einen, der um einen bestimmten Faktor – den Cropfaktor, kleiner[1] ist. Meine Canonkamera hat einen Cropfaktor von 1,6. Ihr Sensor ist also 1,6 mal kleiner, als 24x36 mm. Unter Berücksichtigung des Cropfaktors ergibt sich folgende Faustformel: Maximale Belichtungszeit = Kehrwert (Brennweite x Cropfaktor). Für meine 50 mm Brennweite ergibt sich jetzt eine maximale Belichtungszeit von 1/80 Sekunde (1,6 x 50 = 80). Beim 300 mm Tele ergibt sich eine maximale Belichtungszeit von 1/480 Sekunde.

Natürlich kann ich über die Blendenöffnung oder die Isoeinstellung oder eine gezielte Unterbelichtung Einfluss auf die Belichtungszeit nehmen. Die Blendenöffnung ist ein Gestaltungsinstrument, welches ich nur im Notfall für die Korrektur der Belichtungszeit heranziehe. Iso rauf, heißt oft auch Rauschen rauf und das sog. Pushen mit Hilfe der gezielten Unterbelichtung erhöht meist auch das Rauschen. Lösung: Mein STATIV!

2.      Bildkomposition

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich, seit ich regelmäßig mein STATIV nutze, ich mir mehr Gedanken über die Bildkomposition mache. Warum? Vielleicht weil ich wesentlich öfter durch den Sucher kucke, bis ich abdrücke. Die Arme werden mir auch nicht lahm, selbst wenn ich schon eine halbe Stunde nach dem richtigen Bildaufbau suche. Ich achte auf Dinge, die mir beim schnellen Durchkucken durch den Sucher und Abdrücken aus der Hand gar nicht auffallen. Oft habe ich die erst zu Hause am Rechner wahrgenommen. Wie, da ragte noch ein Ast in das Bild? Ach was, da hinten stand ein Papierkorb? Oh man, warum ist mir denn nicht aufgefallen, dass die Baustelle in der oberen rechten Ecke die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht? Erwischt? Da frage ich, ob es nicht die Schlepperei wert ist, wenn dann zu Hause am PC das Betrachten der Bilder keine bösen Überraschungen bringt J. Ich meine ja!

3.      Niedrige Iso – weniger Rauschen

Wie oben angedeutet, kann ich über die Isoeinstellungen Einfluss auf die Belichtungszeit nehmen und durch hohe Isoeinstellungen die Belichtungszeit reduzieren. Dadurch riskiere ich (in Abhängigkeit meiner Kamera und der Aufnahmesituation) höheres Rauschen. Dieses Risiko habe ich mit meinem STATIV nicht, denn (statische Motive vorausgesetzt) mit meinem STATIV ist mir die Belichtungszeit relativ egal – ich weiß es gibt Ausnahmen (z. B. ziehende Wolken oder sich bewegende Blätter), aber dann habe ich trotz STATIV die Möglichkeit über Blende und Iso Einfluss auf die Belichtungszeit zu nehmen.

4.      Slow-Food-, äh ich meine, Slow-Foto-Bewegung

Früher ohne mein STATIV habe ich oft im Serienbildmodus fotografiert – es gibt ja keine zusätzlichen Kosten pro zusätzlichem Bild (wenn ich mal von der Zeit, die ich nachher beim Durchkucken am PC investieren muss, absehe). Mein STATIV bringt mich dazu, wie oben beschrieben, wesentlich häufiger und länger durch den Sucher zu schauen und auf alle möglichen Dinge zu achten. Ich drücke jetzt weniger auf den Auslöser, weil ich oft vorher schon sehe, was mich am fertigen Bild stören wird. Außerdem suche ich meinen Standpunkt bedachter und konzentrierter aus. Ich setzte mich also wesentlich intensiver mit der Umgebung und dem Motiv auseinander (auch wenn die mich begleitenden Personen, die nicht selbst fotografieren, manchmal an mir zweifeln, insbesondere wenn ich nach einer viertel Stunde verschiedenster Aufnahmestandpunkte ohne einmal den Auslöser gedrückt zu haben, den Platz wieder verlasse). Dafür habe ich wesentlich weniger zu löschende Bilder später am Rechner zu betrachten. Danke STATIV!

5.      Filter

Es gibt eine Menge Filter, deren Einsatz sich positiv auf das Bild auswirkt, z. B. Pol-, Grau- oder Grauverlaufsfilter. Alle diese Filter „schlucken Licht“, verlängern also die Belichtungszeit. Womit wir beim oben ausreichend beschriebenen Problem und der Lösung (dem STATIV) wären.

Außerdem erfordern zumindest Pol- und Grauverlaufsfilter an die Aufnahmesituation angepasste Einstellungen. Dies macht sich einfacher, wenn die Kamera auf dem STATIV steht, denn dann habe ich beide Hände frei für das Hantieren mit den Filtern und das gute Stück kann mir nicht aus den Fingern rutschen und zerschellen.

6.      Experimente

Manchmal stehe ich vor einem Motiv und mache ein paar Experimente (lange Belichtung, große Blende, Grauverlauffilter in verschiedenen Stärken etc.). Das kann ich alles ganz ruhig machen, denn die Kamera sitzt fest auf meinem STATIV und kann nicht runterfallen. Ich kann mir in Ruhe in meiner Tasche das Zubehör raussuchen, ohne dass sich der (für mich perfekte) Bildausschnitt auch nur um einen Millimeter verschiebt. Zuhause am Rechner kann ich dann entscheiden, welches Experiment gelungen und welches zu verwerfen ist. Wieder ein Problem weniger – Dank an mein STATIV.

7.      Mehrfachbelichtungen

Will ich ein HDR-Bild machen oder einfach nur mit unterschiedlichen Belichtungen experimentieren, ist das STATIV mein Freund und Helfer. Bildausschnitt gesucht – gefunden – und nun nur noch ganz komfortabel die Belichtungseinstellungen verändern und zu Hause am PC zwei Bilder kombinieren oder ein HDR machen. Ohne mein STATIV wäre das sicherlich in Ausnahmen auch möglich, wenn ganz kurze Belichtungszeiten möglich sind, aber die Situationen sind eher selten. Mit STATIV, mach ich mir darüber gar keine Sorgen.

8.      Unterschiedliche Lichtstimmungen

Ab und zu (leider viel zu selten) schraube ich mich am Wochenende oder im Urlaub gaaaaaanz früh aus dem Bett und radel schlaftrunken mit samt meiner Ausrüstung los. Dann kann es passieren, dass ich den richtigen Spot gefunden habe und der Bildausschnitt ist schon super, aber das Licht noch nicht. Also bleibt die Kamera auf meinem STATIV, ich stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und erkunde die (sehr) nahe Umgebung und wenn die Lichtstimmung stimmt, dann kann ich die paar Minuten nutzen, um Fotos zu machen und muss nicht erst das Bild komponieren. Einfach anschalten und Fernauslöser drücken und (hoffentlich) über das Ergebnis freuen. Wieder ein Problem gelöst mit Hilfe meines STATIVes.

9.      Komfort bei Bodennähe

Ich liebe bodennahe Perspektiven, die sog. Froschperspektive. Früher, vor der Anschaffung meines STATIVes, lag ich oft auf dem Bauch. Nicht so schlimm wie es sich anhört, wenn es Sommer und trocken ist. Aber im Winter oder Herbst – naja, ich gestehe, aus dem Alter bin ich raus. Jetzt klemme ich die Kamera auf meinem STATIV fest, mache den Liveview an und schaue relativ komfortabel auf das Display. Mit Klappdisplay ist es schon fast zu viel des Guten, aber ich nehme es wie es kommt und genieße J Keine komischen Blicke, wenn ich dreckig nach Hause fahre, keine Fragen, ob es mir nicht gut geht, nur weil ich mich auf dem Boden sühle, einfach nur sauber und ordentlich nach Hause. Und wem verdanke ich das – genau, meinem STATIV.

Ich denke, ich habe meinem STATIV ausreichend gehuldigt. Es wird mich nach diesem Loblied weiter treu begleiten und mir Unannehmlichkeiten ersparen und Dinge ermöglichen, die ohne mein STATIV nicht möglich wären. Wenn auch du ein solches STATIV dein eigen nennst, dann gehe zu ihm, öle die Schrauben, staube es ab und nimm es mit auf die nächste Fototour. Mit ein bisschen Eingewöhnung werdet ihr hoffentlich ein genauso gutes Gespann, wie ich und mein STATIV. Viel Glück dabei!